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Rheinmetall Entwaffnen Aktionswoche Nachbericht & Interview

Vom 26.8. bis 31.8. hat in Köln die Rheinmetall Entwaffnen Aktionswoche stattgefunden. Einem vorangegangenen Versuch der staatlichen Repressionsorgane das Camp im Kölner Grüngürtel zu verbieten konnte sich entschlossen entgegengestellt werden. Die darauffolgende Woche war gekennzeichnet durch zahlreiche wirksame antimilitaristische Aktionen. Dazu zählen unter anderem die Besetzung der SPD Parteizentrale, Blockaden der DEUTZ AG und eines Rheinmetall Tochterunternehmens, Markierung der Allianz-Versicherung, Microsoft Bürogebäude, Kriegsprofiteuren und des Karrierecenters der Bundeswehr, sowie die Werksschließung von Diehl Defence. 

Wir haben im Zuge des Endes der Rheinmetall Entwaffnen Aktionswoche mit verschiedenen Menschen gesprochen, um das Erlebte auszuwerten.

Wer bist du?

Thespina L.: Mein Name ist Thespina Lazaridu, ich bin 65 Jahre, Mitglied der Gruppe Free Assange Köln und Mitglied der DFG-VK Köln. Ich bin überzeugte Pazifistin.

Ronja*: Ich bin aktiv im Offenen Treffen gegen Krieg und Militarisierung in Köln. Ich bin 24 Jahre alt.

Aus welcher Perspektive oder Position hast du die Demo erlebt?

Thespina L.: Ich war Demonstrations-Teilnehmerin. Zu zweit trugen wir ein großes Banner.

Ronja: Demonstrant:in im revolutionären Block

Wie hast du die Demonstration am 30.08. wahrgenommen?

Thespina L.: Am Aufstellungsort erstaunte -und freute mich- die große Menge der Mitdemonstrierenden und besonders die große Menge junger Menschen. Insgesamt habe ich eine freundliche und friedliche, teils sogar lustige Atmosphäre bei den Demonstrierenden erlebt. Eine aggressive Haltung hätte mich von einer Teilnahme abgehalten oder ich hätte mich bei solcher Entwicklung zurück gezogen. Das hat zum einen gesundheitliche Gründe und zum anderen ist es meiner grundlegend pazifistischen Einstellung geschuldet.

Ronja: Die Demonstration war für mich ein ausdrucksstarkes Zeichen und vor allem ein Spiegel dafür, wie viele Menschen mobilisierbar für eine antimilitaristische und anti-Kriegs Perspektive sind. Es war beeindruckend zu sehen, wie viele sich bereits am Startpunkt sammelten, als sich die große Anreise aus dem Camp einfand. Ähnlich wie das gesamte Camp, empfand ich die Demonstration als Höhepunkt des Zusammenkommens und der gelebten Solidarität.

Gibt es eine bestimmte Situation oder ein bestimmtes Gefühl, was dir besonders im Kopf geblieben ist?

Thespina L.: Meiner Wahrnehmung nach, war die Polizeipräsenz vollkommen überdimensioniert. Der Start des Demozuges zog sich sehr extrem in die Länge. Es gab ständige Bekanntmachungen der Polizei mit jeweils neuen Auflagen. Wurde eine Auflage erfüllt, durfte der Zug starten. Nach einigen Minuten wurde erneut etwas beanstandet, der Zug mußte wieder zum Stehen kommen. So gab es ein ständiges Stop and Go. Das war nicht nur anstrengend und entnervend, sondern machte sehr bald die äußerst provokative „Strategie“ der Polizei deutlich. Die Auflagen waren meist willkürlich und teils abstrus. So wurde z. B. gefordert, dass „Metallstangen“ entfernt werden müßten, weil sie als Waffen eingesetzt werden könnten. Auf Nachfrage (auch von mir persönlich), um welche Metallstangen es sich handelte, nannte man mir in der Hauptsache die Teleskopstangen an denen Fahnen befestigt werden. Für meine Begriffe wären Menschen die Gewalt anwenden wollen, denkbar schlecht beraten sich mit solchen Teleskopstangen auszurüsten. Tausendfach werden sie auf Veranstaltungen und Demonstrationen eingesetzt als Fahnenstangen. Ich habe nie vorher erlebt, dass sie als Bewaffnung deklariert wurden- wie auch; sie knicken und brechen schnell, selbst bei Wind- beim Einsatz gegen eine behelmte Polizei in Schutzkleidung… wohl eher eine bescheuerte Idee. Selbstverständlich weiß die Polizeileitung solche Dinge – und gewaltbereite Demonstranten auch. Eine wunderbare Reaktion auf diese Aufforderung zur Entfernung der Metallstangen kam von den Clowns die den Demozug begleiteten: Sie versuchten scherzhaft die (Metall-)poller am Platz zu entfernen. Auch sie sind später von der Polizei attackiert worden – sie waren wirklich sehr erschrocken und manche weinten. Körperliche Verletzungen und traumatisierende Erfahrungen sollten wohl nachhaltig eine abschreckende Wirkung erzeugen. Denn wer geht schon erneut auf die Straße, nach solchen Erlebnissen? Das hat mich besonders berührt und es ekelt mich heute noch.

Ronja: Besonders im Kopf geblieben ist mir das Gefühl der Verbundenheit, mit Genoss:innen, ob fremd oder bekannt, zusammenzustehen und vor allem zusammenzuhalten. In seiner Wahrnehmung und seinen Gefühlen fühlt man sich oft alleine, auf dem RME Camp und insbesondere auf der Demo habe ich mich keine Sekunde alleine gefühlt, ich konnte mich darauf verlassen, dass mir aufgeholfen wird, ich unterstützt werde, wenn nötig, und nicht alleine mit meinen Erfahrungen, aber auch im Kampf gegen die fortschreitende Militarisierung bin.

Wie hast du das Auftreten der Polizei in der Mechthildisstraße wahrgenommen? Ist das schon vor Eintreffen der Demo absehbar gewesen?

Thespina L.: Hm, ja.. in der Mechtildisstraße finalisierte die Polizei das, was sie bereits vorher versuchte – zu eskalieren. Marker wie z.B. Größe des Polizeiaufgebots (im Vergleich zu den Protestierenden), Behelmung und Angriffsbereitschaft, Reaktionen Einzelner auf Kommunikation/Informationswünsche waren bereits zu Beginn des Demozuges schlecht gesetzt. Mein Eindruck war, dass die Polizei bereits zu Beginn so viel Teilnehmende wie möglich demotivieren, verängstigen und zermürben wollte. In weiterer Folge provozierte sie, wohl in der Annahme eine Eskalation zu erwirken, die nicht gelang. Die DemonstrationsteilnehmerInnen blieben friedlich. Zwar gibt es einige Stimmen Demonstrierender, die verbale Äußerungen wie „ganz Köln haßt die Polizei“ oder das zünden von Bengalos (in den Farben Palästinas), bereits als „Gewalt“ betrachten. Ich selbst ordne das nicht so ein. Slogans wie der erwähnte, sind zwar nicht zielorientiert und daher wäre es besser sie wegzulassen aber sie sind nicht mal beleidigend. Bengalos zu zünden wenn bereits sehr deutlich wird, das die Polizei auf etwas lauert um ihrerseits Gewalt auszuüben, ist nicht klug – aber ein paar gezündete Bengalos an einem Tag wo die Kölner Lichter gezündet werden …mir fehlt hier eine Verhältnismäßigkeit. Dass Gewalt seitens Demonstrierender nicht im Plan war, konnte jede/r mit einem Blick auf deren Bekleidung und „Ausrüstung“ sehen, die leicht und leger war. Keine „Schutzkleidung“, keine „Bewaffnung“… sehr viel anders als die der Polizei.

Ronja: Beim Eintreffen auf dem Versammlungsort wurden wir direkt mit Beleidigungen über unser Aussehen von den Bullen begrüßt. Bereits vor Beginn der Kundgebung hat die Polizei versucht die Menge einzuschüchtern, sei es mit eben diesen Beleidigungen, aggressiven Auftreten oder dem gescheiterten Versuch eine Person aus der Menge zu ziehen. Sie hielt die gesamte Demo unter vorgesetzten Gründen am Losgehen ab und konzentrierte sich darauf den revolutionären Block von der restlichen Demo zu spalten. Das ist ihr zu keinem Zeitpunkt gelungen. Der Angriff auf die Demo, auf den revolutionären Block, ist klar als Versuch die Antikriegsbewegung im Keim zu ersticken und das Campverbot auf dieser Ebene fortzusetzen, zu verstehen. Die Bullen haben wahllos Gründe gesucht die Demonstration aufzuhalten, seien es angeblich zusammengeknotete Transpis, Vermummung oder Fahnenstangen. Zuguterletzt sahen sie den Lautsprecherwagen des revolutionären Blocks als Anlass in die Demo zu stürmen und eine beispiellose Gewalt anzuwenden, um den, im Vorhinein der Demo eh kontrollierten, Lautsprecherwagen erneut zu durchsuchen und sämtliches Material zu zerpflücken und zu zerstören. All das für ein paar gefundene Wunderkerzen.

Diese unberechenbare Staatsgewalt haben wir aber nicht hingenommen! 

Geschlossen haben wir uns dem entgegengesetzt und bis zum Schluss Schulter an Schulter, solidarisch und kämpferisch die Stellung bewahrt.

Das Rheinmetall Entwaffnen Camp hat eins gezeigt:

Als Bewegung zusammenzukommen, sich spektrenübergreifend zu bilden, gemeinsam in Aktion zu gehen und eine Verlässlichkeit und Vertrauen aufzubauen lässt uns stärker und widerstandsfähiger zurück. Solidarität, Kollektivität und Widerstandsgeist haben die Demo und insbesondere den inhumanen, brutalen und schikanösen Kessel des revolutionären Blocks geprägt.

Hast du ein solches Verhalten von der Polizei erwartet oder auch schonmal erlebt?

Thespina L.: Äh, ja.. ich will es mal so sagen: wenn ich auf eine Regierungsgeförderte Demonstration z.B. „gegen Rechts“ gehe, erwarte ich kaum polizeiliche Gewalt. Demonstriere ich jedoch gegen Absichten und Handeln der jeweiligen Regierung, weiß ich, dass die Polizei keinesfalls zu meinem Schutz da ist. Erlebt habe ich solches Verhalten wie in der Mechtildisstraße leider öfter- auch mit wesentlich exzessiverer Brutalität. Ja, häufig genug verhält sich die Polizei wie das Militär- sie macht Krieg gegen die eigenen Bürger.

Ronja: Die erlebte Polizeigewalt reiht sich ein in eine unzählige Menge an Angriffen der Bullen auf Demonstrationen und Demonstrant:innen. Insbesondere im Kontext der Palästina-Solidarischen Demonstrationen, vor allem in Berlin, scheint es als würde die Polizei auf der Straße austesten wie brutal sie vorgehen können, ohne, dass es gesellschaftliche oder rechtliche Konsequenzen gibt. All das nimmt immer mehr zu. Die Bullen dienen dem herrschenden kapitalistischen System als ausführender Gewalt- und Unterdrückungsapparat. Zu spüren kriegen wir es, die sich dem entgegenstellen.

Repression ist ein Bestandteil des Kampfes gegen die Herrschenden. Doch das hält uns nicht davon ab für unsere Werte einzustehen. Wir müssen das so nicht hinnehmen und werden weiterhin auf der Straße für ein besseres Leben kämpfen.

Wie wünschst du dir, dass mit solchen Situationen umgegangen wird?

Thespina L.: Ich wünsche mir eine unabhängige Presse zur Dokumentation, eine Gesellschaft die Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung als schätzenswert betrachtet, auch dann wenn sie kontrovers scheint. Und eine Polizei, die zum Schutz dieser Freiheiten arbeitet und nicht umgekehrt..

Was müsste deiner Meinung nach passieren, damit sich etwas ändert?

Thespina L.: Die politischen Akteure zumal in Regierungs“verantwortung“, neigen nicht zu positiven Reformen den BürgerInnen gegenüber – also müssen die BürgerInnen das Heft (wieder!) selbst in die Hand nehmen. Weder Recht noch Frieden machen sich von allein. Sie sollten, anders als es in der gängigen Praxis gehandhabt wird, Versammlungsfreiheit schützen. Verstörend ist es, wenn schon den sehr jungen Menschen die richtig harte Kante gezeigt wird, um sie zukünftig von freier Meinungsäußerung, von Versammlungen, abzuhalten. Die Regierung wird sich die nächsten Jahre mit noch größeren Unmutsäußerung der Bevölkerung konfrontiert sehen. Schlicht aus dem Grund, dass die Menschen, insbesondere die jungen Menschen, nicht dumm genug sind zu akzeptieren, dass sie für die Kriegs-Profite Einzelner, zukünftig prekär leben müssen, töten und getötet werden sollen. Dass exzessiv Schäden an der Umwelt durch Aufrüstung und Krieg stattfinden. Natürlich paßt das Verhalten der Polizei in das gegenwärtige politische Konzept der Militarisierung, Aufrüstung und der Kriegsvorbereitung. Darüber sollten sich auch die PolizistInnen Gedanken machen. Dass friedliche Versammlungen in einer demokratischen Gesellschaft unter der Androhung von Sanktionen stehen, ist doch absurd genug.

Ronja: Der Staat und die Herrschenden beweisen tagtäglich, dass sie nicht im Interesse der Arbeitenden handeln. Auf sie können und sollten wir uns nicht verlassen! Wir müssen unser Schicksal selber in die Hand nehmen und bestimmen. Es liegt an uns zu entscheiden, ob wir in dieser kapitalistischen Elendsspirale bleiben oder uns befreien. Befreien können wir uns aber nur gemeinsam. Wir müssen uns zusammenschließen in Orgas, in Treffen, in Arbeitsgruppen und gemeinsam auf der Straße für ein besseres Leben kämpfen!

Liegt dir zu diesem Tag oder der Woche noch etwas Bestimmtes auf dem Herzen?

Thespina L.: Ja. Solange wir als Gesellschaft so sind wie wir sind, traurig nämlich, wäre es schön und sinnvoll wenn wir, FriedensaktivistInnen, über Hürden hinweg uns die Hände reichen, uns gegenseitig stützen und schützen. Solidarität und Vernetzung wird das Gebot, insbesondere der kommenden Zeit sein. Es steht nicht rosig für eine friedliche Zukunft – wir werden häufig u. a. auf der Straße sein müssen und häufiger häßlichen Situationen begegnen. Wir brauchen Phantasie und unerwartete, friedliche „Strategien“. Wir haben uns in der Mechtildisstraße an unsere Mitbürger gerichtet, und wir bekamen Unterstützung. Das war toll. Es braucht, dringend Gespräche darüber, wie wir uns selbst, mit friedlichen Mitteln, vor solchen Übergriffen schützen können. Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft, einer aggressiven Polizei, verletzte und traumatisierte Menschen in unseren Reihen, nicht mehr erlauben. 

Ronja: Mein Engagement, mein Auftreten und mein Sicherheitsgefühl wäre auf dem Camp und auf der Demo niemals so stark gewesen, wäre ich nicht in Gemeinschaft gewesen und hätte ich nicht als Kollektiv gehandelt. Ob spektrenübergreifend oder nicht – ich kann nur nochmal betonen, wie wichtig es ist sich zusammenzuschließen und sich zu organisieren. Gemeinsam sind wir stärker!

Vielen Dank für das Interview.

*Name geändert.

Anwohner:innen Gespräche:

Im Zuge der Auswertung der Geschehnisse auf der Mechthildisstraße wurden auch einige Gespräche mit Anwohner:innen geführt.

Schon während der andauernden Maßnahmen der Polizei am Tag der Demo wurde direkte Solidarität durch die Unterstützung des Kessels der Anwohner:innen spürbar. Bei den geführten Gesprächen wurde deutlich, dass, trotz teilweise inhaltlicher Differenzen in Bezug auf das Auftreten und die Inhalte der Demonstration, die Polizei als bedrohliche und eskalierende Seite wahrgenommen wurde. 

Vor allem ein Unverständnis gegenüber der ausgeübten Gewalt war eines der vorherrschenden Emotionen in den Gesprächen. 

In den Gesprächen kam außerdem hervor, dass die erlebten Ereignisse bei vielen ihr bisheriges  Bild der Polizei ins Wanken brachten. Es kam vereinzelt zu Ermutigungen zum Weitermachen und der Aussprache von Solidarität im antimilitaristischen Kampf.

Wir bedanken uns bei allen Menschen, die mit uns Interviews geführt haben, die mit uns über ihre Erlebnisse gesprochen haben und bei allen, die ihre Emotionen mit uns geteilt haben, positiv, sowie negativ.

Fazit:

Auf dem Camp konnte revolutionäre Gegenmacht greifbar gemacht werden. Die Mobilisierungsfähigkeit und das Interesse an einem kämpferischen Antimilitarismus haben spürbar zugenommen. Auch eine qualitative Weiterentwicklung bei Aktionen auf der Straße ließ den Bullen nichts anderes übrig als bloß zu reagieren. Den Angriff auf die Demonstration als reine „Revanche“ der Polizei zu betrachten, wird dem politischen Hintergrund der Gewalt nicht gerecht. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall: Ähnlich eskalativ haben sich die Bullen in den letzten zwei Jahren vor allem gegenüber palästinasolidarischen Demos verhalten. Diese prozesshafte Normalisierung massiver Polizeigewalt ist Teil eines autoritären Staatsumbaus.

Auf diesen gescheiterten Versuch der Bullen die antimilitaristische Bewegung mit brutaler Gewalt zu unterdrücken antworten wir mit Zusammenhalt und Stärke.

Uns zeigt es: Wir treffen mit unserem Widerstand einen wunden Punkt des deutschen Staates. Wir müssen gemeinsam an die Erfolge des Rheinmetall Entwaffnen Camps anschließen und Kriegsprofiteure dort angreifen, wo sie angreifbar sind. Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Krieg dem Krieg.